2020

SCHREIBKICK: Ortsnamen in der Phantastik

Beitrag zum „The Tempest“-Newsletter 02/2020

Um Ortsnamen zu erfinden, kann man sich von der Realität inspirieren lassen. Da gibt es einerseits Städte, die einfach Verben sind. Singen, Essen, Siegen … Warum nicht Laufen, Saufen und Galopp?

Dann kann man Komposita entwickeln: Geht es um Menschen, Trolle oder Zwerge, die mit Gestein assoziiert werden, eignen sich Ortsnamen mit -burg oder -berg, -fels, -stein oder -brocken, wenn man es ein wenig lustig haben will. Geht es eher um blumige Elfenvölker, bieten sich Namen an mit -wald, -feld, -gras oder, sofern sie winzig sind, vielleicht auch -stängel, -zweig oder -blatt. Natürlich sollte man diese Zuordnungen umkehren, wenn es um kriegerische Dunkelelfenvölker oder Kieseltrolle geht.

Andere Möglichkeiten wären beispielsweise Metalle für Zwergen- und Roboterstädte oder -wind für Vogelvölker und andere Freigeister.

Eine dritte Variante ist, sich die anatomischen und sprachlichen Möglichkeiten des fantastischen Volks zu überlegen und danach auszuwählen. Als plakatives Beispiel könnten die Städte eines Schlangenvolks besonders viele Zischlaute enthalten.

Hilfe beim Setting: Klänge: In einem anderen Kick sprach ich von Bildern, die man sich anschauen kann, um in Stimmung zu kommen (zum Beispiel Schneebilder, wenn man im Hochsommer eine Winterszene schreiben soll).

Filmsounds liefern auch eine gute Inspiration. Schreibt man eine Schlachtszene, kann man sich auf Youtube eine Playlist mit entsprechenden Szenen zusammenstellen, so dass Waffengeklirr, Schreie, Pferde etc. einen passablen akustischen Hintergrund liefern. Sehr einfach funktioniert das natürlich auch für Geschichten auf dem Meer – spätestens seit Fluch der Karibik gibt es eine große Klangpalette für Wasser, Schiffsknarren und dergleichen.

Musik kann generell helfen – ich schreibe zum Beispiel besser piratig und schiffig, wenn ich dazu schunkelnde Piratenmusik höre oder auch meditatives Wellenrauschen oder Plätschern. Und besonders dschungelig wird es mit Urwaldgeräuschen.

Schafft man sich so ein akustisches Setting, fällt das Denken in die entsprechenden Richtungen oftmals leichter. Wenn man hingegen erst gedanklich den Baulärm vor dem Fenster ausschalten muss, wie soll man da das schneeige Knirschen hören, wenn die Protagonisten durch die Winterlandschaft stapfen?

SCHREIBKURS: Monsterentwicklung und Biologie

Beitrag zum „The Tempest“-Newsletter 03/2020

Für Phantastik muss man ja bisweilen Ungeheuer oder Wesen erfinden. Seien wir ehrlich: Nach „Es“, Kankra und den Düsterwald-Spinnen, Atlach-Nacha, Aragog und wie sie alle heißen, ist jetzt auch mal gut mit Spinnenmonstern. Es gibt so viele andere Möglichkeiten! Damit die aber auch „realistisch“, das heißt glaubwürdig sind, kann man eine Sache beachten: sich an der Biologie orientieren. Einige Beispiele:

Ein Wesen, das ein superfeines Gehör hat, sollte Charakteristika von Tieren aufweisen, die bei uns ebenfalls ein feines Gehör haben. Hund oder Katze haben zum Beispiel große, verstellbare Ohrmuscheln.

Einige Vögel sind Pentachromaten, das heißt, sie haben fünf statt drei Zäpfchen im Auge (wie wir), und ihr Farbsehen ist zum Beispiel um Ultraviolett erweitert. Das und verschiedene Formen des Aufplusterns sind Teil der Balz, ohne die der Balzpartner nicht attraktiv ist. Gebe ich einem Ungeheuer also entsprechende Fähigkeiten, ist es unglaubwürdig, wenn es nachtschwarzes Fell hat. Monster wollen sich ja schließlich auch erfolgreich fortpflanzen. (Und das ist auch gut für den Leser: mehr Monster, mehr Spannung!).

Ein weißer Drache: Tiere, die bei uns weiß und blind sind, wohnen in Höhlen, kommen nicht mit Sonnenlicht in Berührung und haben dafür andere Sinne als das Sehen geschärft. Ein weißer Drache in der Wüste braucht darum eine sehr gute Erklärung.

Eine elefantengroße Spinne, die auf einem Planeten haust, wo der Sauerstoffgehalt der Luft 15 % beträgt – das geht nicht: Sie würde ersticken, weil ihr Atmungssystem den Sauerstoff nicht weit genug trägt. (Darum haben wir heute keine katzengroßen Spinnen mehr, gut für uns!) Aber sie trinkt gern Stickstoff? Schön für sie, aber der wird bei knapp minus 200 Grad erst flüssig. Wie sieht es dann mit ihrer Winterstarre aus?

Wichtig für alle Überlegungen ist, dass der Leser als Vergleichsbasis nur seine Realität hat. Nennt man also Monsterkörperteile, wird der Leser sofort an irdische Entsprechungen denken. Und sollte dabei nicht als Erstes über unlogische Eigenschaften stolpern.

SCHREIBKICK: Achtsamkeit

Beitrag zum „The Tempest“-Newsletter 04/2020

Unter dem Stichwort „Achtsamkeit“ werden in der Psychologie Übungen zusammengefasst, mit denen man den Kopf im Hier und Jetzt halten kann (darunter sind sie auch google- und youtubebar).

Es gibt Übungen zum Beobachten, Wahrnehmen und Beschreiben. Dabei soll nicht bewertet werden. Das zu üben ist für den Autor (aller Geschlechter) praktisch, da er ja in der Lage sein sollte, jede Szenerie positiv oder negativ auszudeuten. Wenn man die Aspekte trennen kann, wird es leichter, sie gezielt einzusetzen.

Beispiel: Man möchte einen Garten im Sonnenschein beschreiben.

Versuch 1: „Grünzeug, blauer Himmel, wunderschön.“ Ansprechend? Eher weniger. Wie wäre es also mit:

Versuch 2: Sich irgendwo ein Plätzchen Grünzeug suchen und exzessiv beobachten. Dann fällt einem auf, dass der Sonnenschein durch die Blätter saftig grün leuchtet oder welche Maserung die Rinde von dem und dem und dem Baum hat, hoppla, vielleicht ist eine Figur zu erkennen, wie kommt die denn da hin? Oder vielleicht haben die Blätter vom Sonnenschein einen goldenen Rand, es gibt verschiedene Ameisenstraßen, Käfer, Libellen, von irgendwoher weht der Duft von Erdbeeren herüber, und man hört es plätschern, die Füße in einer Schüssel mit kühlem Wasser wäre doch auch fein bei der Hitze, nicht wahr? Und Sonnencreme nicht vergessen (die riecht übrigens auch und fühlt sich kühl an).

Dazu muss man nicht einmal kreativ sein, diese Übungen eignen sich also bestens, wenn man mal einen Hänger hat oder einem der Kopf brummt vor Dingen, die man noch erledigen muss. Der Kopf ist dann frei, man ist im Hier und Jetzt, um sich zu konzentrieren, und im besten Fall gibt es noch Inspiration (war vielleicht die Figur in der Rinde früher mal eine Elfe, und was ist passiert?).

SCHREIBKURS: Perspektive

Beitrag zum „The Tempest“-Newsletter 05/2020

Bei der Perspektive kann man viel falsch machen, zum Beispiel:
– Infos vermitteln, die die Figur nicht wissen kann
– nicht richtig tief drin sein, so dass alle Gefühle schal wirken oder gestelzt oder behauptet

Um dem vorzubeugen, kann man sich vor jeder Szene einen Augenblick Zeit nehmen, sich überlegen, in welchem Setting sie anfängt, und sich einfach mal gedanklich dort hinstellen. (Hierzu können auch Achtsamkeitsübungen nützlich sein, wie sie im letzten Tempest beschrieben wurden.)

Man kann sich als Figur dort hinstellen, aber auch als Autor. Also statt Warmschreiben lieber Warmvorstellen. Dann alle Sinne abarbeiten: Was ist das für eine Situation, und welcher Sinn steht im Vordergrund? Ist es eine Schlacht und sind die Geräusche am wichtigsten, die Schreie, das Stöhnen, das Klirren, die Pferde, der Hufschlag, die Hörner, die Trommeln? Ist es Nacht und man sieht nichts, nur Schwärze – und da, ein Windhauch in einem Busch und Mondlicht schimmert auf dem Schwarm kleiner Reflexionsflächen? Wie ist es, nichts zu sehen – normal, beruhigend, beängstigend, und warum?

Das Warum führt dann zur Stimmung der Figur, und wenn man vorher nicht in ihr drin war, dann jetzt – und Perspektivbrüche passieren seltener.

Man kann auch alle Szenen erst mal aus der Ich-Perspektive schreiben, das kann einen vergleichbaren Effekt haben. Und beim Überarbeiten schreibt man sie dann in die personale Perspektive um. Das ist zwar mehr Arbeit, aber wenn die Szene dadurch gewonnen hat oder überhaupt erst entstanden ist, hat sie sich gelohnt.

SCHREIBKURS: Kindersendungen für die Monstergestaltung nutzen

Beitrag zum „The Tempest“-Newsletter 06/2020

In Sendungen für Kinder, beispielsweise der „Sendung mit der Maus“ (gibt’s auch oft auf Youtube), werden die unterschiedlichsten naturwissenschaftlichen Phänomene für Kinder, also auch für naturwissenschaftliche Laien erklärt. Sie sind aufs Wesentliche reduziert und eignen sich daher besonders gut für AutorInnen, um sie als Basis zum Beispiel für die Monstergestaltung zu nutzen.

Wisst ihr zum Beispiel, wie es sich mit dem Geweih von Hirschen verhält? Das fällt jedes Jahr ab! Im Frühjahr wächst es neu, 2 bis 3 cm pro Tag, und es sieht zuerst aus wie ein Plüschgeweih von einem Kuscheltier. Bis zur Brunftzeit im Herbst ist es wieder 1,5 m hoch und 10 kg schwer.

Oder Hydren. Das sind nicht nur mythologische Wesen, sondern auch Süßwasserpolypen, die zu den Nesseltieren gehören (wie Quallen). Sie sind quasi unsterblich, obwohl man ihnen den „Kopf“ abschneiden kann.

Was das für Möglichkeiten für die realistische Monsterkonzeption bietet!

SCHREIBKURS: Sympathische Monster konzipieren

Beitrag zum „The Tempest“-Newsletter 07/2020

Monster können nicht nur gruselige Antagonisten sein, sondern auch Handlungs- und Sympathieträger. Um das zu erreichen, kann man zum Beispiel Monster niedlich konzipieren, wie es beispielsweise im Film „How to train your dragon“ oder in den Bildern von Johan Potma geschieht. Aber wie kann man Niedlichkeit bei geifernden, klauenbewehrten, haarigen, riesigen, schuppigen Viechern erzeugen?

1. über das Kindchenschema. Betonung der Augen, weiche Formen und ggf. leicht unkoordinierte Bewegungen, Füße / Hände / Klauen und Kopf unproportional groß und tapsig.

2. durch Diminutive. Die grässliche schwarze Hauswinkelspinne ist genau genommen nur ein kleines Tierchen mit kleinen Füßchen, wie schlimm kann sie sein?

3., indem man menschliche Verhaltensweisen hineininterpretiert. Erwähnte Hauswinkelspinne verkriecht sich, um Schutz oder Wärme zu suchen, geht ab und zu spazieren, sitzt abends eine Stunde vor ihrem Haus / Winkel, um den Abend zu genießen, bewegt sich gaaanz laaangsam und unauffällig in ihre Ritze, damit der große Mensch sie ja nicht bemerkt und sie eventuell frisst … Ihnen Namen zu geben oder Ironie zu verwenden, kann das erleichtern (seitdem mag ich meinen Graf Orlov den Monströsen).

4., indem man Ungeheuern Verhaltensweisen von Haustieren zuschreibt. Mit dem Schwanz wedeln / schnurren / sich aufplustern bei Freude. Zuneigung zeigen durch anschmiegen, Leckerlis sehr vorsichtig annehmen, wenn sie einem von ihrem Essen abgeben (lecker angenagte halbe Gazellen oder so). Schutz suchen bei Dingen, die für den Menschen nicht erschreckend sind (Gewitter, Staubsauger, vorbeizischende Amseln).

SCHREIBKICK: Das Aussehen von Figuren vermitteln

Beitrag zum „The Tempest“-Newsletter 08/2020

Es ist schwer, das Aussehen des Perspektivträgers zu vermitteln, wenn dieser kein eingebildeter Sack ist, der sich ständig im Spiegel anschaut, sich durchs Haar fährt oder über seine Kleidung nachdenkt.

Die offensichtlichsten Varianten sind: Die Figur sieht sich im Spiegel / Wasser / Fenster, die Figur wechselt die Kleidung, oder sie führt eine Angewohnheit aus, indem sie ihr (soundso langes, soundso gefärbtes) Haar anfasst.

Alle können beim Lektor inneres Augenrollen verursachen. Für alle gibt es aber auch eine elegante Variante.

Einfach in den Spiegel gucken, das lässt eine Figur eitel erscheinen und ist außerdem unrealistisch, denn wie oft schaut man im realen Leben in den Spiegel? Eleganter ist es, eine Wertung einzufügen. Die Figur sieht soundso aus, wie passt das zur Situation oder nicht? Eine Wertung des Gesehenen kann also Handlung, Charakter der Figur, ihre Stimmung oder ihr Selbstbild verraten.

Beispiele
– „Ich sollte jetzt ein ordentliches Bild abgeben, weil [Kommentar zur folgenden Handlung], aber ich habe keine Zeit, die Zotteln zu kämmen.“
– „Guten Morgen, Augenringe! Seid ihr auch schon wieder da.“
– „Aber immerhin habe ich mir die Nacht um die Ohren geschlagen, um [irgendeine plotrelevante Sache] zu tun, da sollen die anderen bloß den Mund halten / da würde jeder [soundso] aussehen.“

Wenn die Figur nicht allein unterwegs ist, können andere Figuren sie auf Aspekte ihres Aussehens ansprechen. Beispielsweise darauf, wie sich ihr Aussehen innerhalb des Romans verändert hat und wie man daran die Geschehnisse ablesen kann.

Beispiele
– „Du siehst müde aus.“
– „Pass auf, sonst brütet bald jemand in den Nestern auf deinem Kopf.“
– „Die Blutflecken passen wunderbar zu deinen grünen Augen, Schatz.“

Eine andere Variante – besonders sinnvoll, wenn eine Figur auf eine andere trifft, die sie lange nicht gesehen hat – ist der Vergleich mit früher.

Beispiele
– „Du bist aber dick geworden!“
– „Die Glatze steht dir, das betont deinen attraktiven Eierkopf.“
– „Hatten deine Augen eigentlich schon immer die Farbe von Spinat?“

Ferner kann man Aussehensbeschreibungen mit einer Handlung verknüpfen, die der Perspektivträger gedanklich kommentiert.

Beispiele
– Er sieht nichts mehr, weil seine Brille beschlägt.
– „Wäre ich nur ein bisschen größer / dünner / kleiner, würde ich problemlos da drankommen / reinpassen / drunter durchkommen.“
– Der Perspektivträger wird abgewiesen und fragt sich, ob es an [äußerliche Merkmale] gelegen hat.

Auch Reflexionen der Perspektivfigur, beispielsweise ein Rückblick in Gedanken und ein Vergleich mit der jetzigen Situation, können das Aussehen beinhalten.

Beispiele 
– „Früher hat er mich gedisst, weil ich [Merkmal] aussah, inzwischen sind wir ein Paar.“
– „’Kartoffelnase‘ hat er mich genannt, und jetzt bin ich der Einzige weit und breit, von dem er noch Kartoffeln kaufen kann.“
– „’Zwerg‘ hat er mich genannt, aber jetzt hat er Gicht, und ich überrage ihn um Haupteslänge.“